Kunst & Kultur

Wie ein Sandsturm durch die Kunstwelt

Tim Bengel


Text: Stefanie Gomoll 
Fotos: Tim Bengel

Offen, zugewandt und gänzlich ohne Starallüren. So präsentiert sich der junge Shootingstar der Kunstszene im Telefoninterview. Dabei könnte sich der sympathische 28-Jährige durchaus etwas auf seinen Erfolg einbilden. Ob auf internationalen Kunstmessen oder in den Sozialen Medien – Tim Bengel wird gerade als einer der spannendsten Künstler seiner Generation gefeiert. Im Interview verrät der Stuttgarter, was ihn antreibt.

Haben Sie als Kind gerne im Sandkasten gespielt?

Tim Bengel: Nein, nicht unbedingt (lacht). Daher rührt mein Interesse tatsächlich nicht. Aber ich bin schon als Kind gerne in Ausstellungen gegangen. Das kam, weil meine Mutter mich immer mitgenommen hat. Ich habe damals noch nicht wirklich verstanden, was man da so sieht im Kunstmuseum, aber ich war einfach neugierig.

Wie sind Sie dann wirklich auf die Verbindung der Materialien Sand und Gold gekommen?

Tim Bengel: Mir war es wichtig, etwas Neues zu schaffen, was es bis dahin noch nicht gab auf dem Kunstmarkt. Ich habe vorher schon mit der Technik der Collage gearbeitet, weil mich das sehr interessiert und habe dann viele Materialien durchprobiert, bis ich auf Gold und Sand gekommen bin. Es geht mir nicht so sehr um das Material an sich. Es ist einfach eine schöne Kombination, eine neue Technik, die meinen Arbeiten auch ein Alleinstellungsmerkmal und einen Wiedererkennungswert gibt.

Sand ist aber schon ein sinnliches Material oder?

Tim Bengel: Sand hat auf jeden Fall eine schöne Haptik. Wenn die Bilder nachher versiegelt sind, kann man jedes Sandkorn spüren. Ich habe schon die Beobachtung gemacht, dass auch Leute, die zu Kunst vielleicht keinen Bezug haben, über die Haptik einen Zugang zu dem Kunstwerk finden.

Sind Sie ein geduldiger Mensch? Wenn man sich die Videos anschaut, wirkt der Entstehungsprozess Ihrer Kunst beinahe meditativ.

Tim Bengel: Es braucht auf jeden Fall Zeit. Ich mache die Arbeiten nicht zwischen Tür und Angel, sondern versuche mir da ein paar Wochen freizuhalten, mich wirklich darauf zu fokussieren. Ich brauche die Ruhe, aber wenn ich einmal angefangen habe, bin ich auch neugierig, was am Ende rauskommt.

Wo finden Sie Ihre Motive und Themen?

Tim Bengel: In letzter Zeit interessiere ich mich sehr für Architektur, vor allem für urbane Landschaften. Früher waren es eher Monumente, Schlösser oder andere Sehenswürdigkeiten. Aber jetzt kann es auch einfach eine Straßenszene in Brooklyn sein. Und ich mache gerne florale Arbeiten: eine Blüte oder die Struktur eines Palmenblattes. Das ist einfach ziemlich lebendig und wird nie langweilig. Man kann immer etwas Neues entdecken und manche Motive sind fast schon an der Grenze zum Abstrakten.

Ein ganz anderer Bereich Ihrer Arbeit sind die Grabsteine. Wie kommt ein junger Künstler auf so ein Thema?

Tim Bengel: Den Anstoß gab eine Situation, in der ich mich über eine Kleinigkeit geärgert habe. Einfach nur weil ein Post auf Social Media nicht so gut funktioniert hat wie der davor. Und in dem Moment habe ich selbst gedacht, sich über so eine Kleinigkeit aufzuregen, das ist ja eigentlich eine Nichtigkeit. Und dann habe ich überlegt: Wenn das eine Nichtigkeit ist, was ist denn dann überhaupt wichtig in deinem Leben? So habe ich angefangen, darüber nachzudenken, wie ich einmal auf mein Leben zurückblicken will. Was könnte da wichtig sein, was unwichtig? Zuerst habe ich versucht, diese Frage für mich selber zu beantworten. Dann wollte ich aber auch andere Menschen zum Reflektieren bewegen. Was bereuen sie, welche Chancen haben sie verpasst, haben sie eigentlich ihr eigenes Leben gelebt oder immer nur das gemacht, was andere von ihnen erwarten?

So ist dann der Friedhof mit den Grabsteinen entstanden. Die Leute können da einfach darüber gehen und bleiben vielleicht bei der einen oder anderen Botschaft hängen. Gedacht ist das nicht tatsächlich als Grabstein, sondern als Motivation für zu Hause, die man sich an die Wand hängen kann.

Welche Botschaften sind Ihnen persönlich besonders wichtig?

Tim Bengel: Bei mir ist das „I was afraid to create“, also ich hatte Angst, etwas zu erschaffen. Ich möchte nicht, dass das einmal auf meinem Grabstein steht. Ich versuche die Ideen, die ich habe, tatsächlich umzusetzen. Ich glaube, es gibt viele Kreative, die wirklich gute Ideen haben. Aber die Angst, es könnte nicht klappen, ist zu groß, und dann lassen sie es einfach.

Meine positiv besetzte Platte ist „I was present“. Das ist mein Ziel. Ich glaube viele Menschen sind mit dem Kopf gar nicht richtig anwesend oder immer schon in der Zukunft. Ich bin auch oft in Gedanken schon beim nächsten Projekt, aber ich glaube, dass es eigentlich unser Ziel sein sollte, komplett im Moment da zu sein, in jeder Sekunde „present“ zu sein. Wenn ich einmal sagen kann, ich war wirklich anwesend, ich war wirklich da, dann kann ich eigentlich zufrieden sein.

Klingt, als schimmere da Ihr Philosophiestudium durch. Und Ihre ethischen Überzeugungen kommen auch bei einem ganz anderen Projekt zum Ausdruck, Ihrer Sneaker-Kollektion …

Tim Bengel: Ja, die Anfrage dazu kam von der Firma Sioux, das ist der größte Schuhhersteller Baden-Württembergs. Die haben mich angeschrieben und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihnen einen Schuh zu entwickeln. Und weil ich Dinge gerne anders mache, haben wir gesagt: Aus dem klassischen Mokassin der Marke entwickeln wir einen Sneaker, der aber mit der typischen Mokassin-Naht den Wiedererkennungswert beibehält. Und weil ich meine Philosophie habe, meine ethischen Ansprüche, dürfen keine Tiere drinstecken. Deshalb sind die Schuhe vegan und wir haben auf Nachhaltigkeit geachtet. Und natürlich haben sie meine Farben: Eine Variante ist komplett schneeweiß und eine tiefschwarz. Am 19. März ist der Lounge, der Sneaker wird in der Staatsgalerie Stuttgart präsentiert.

Welche weiteren Pläne haben Sie für die Zukunft?

Tim Bengel: Im April ist meine nächste Einzelausstellung in der Galerie Rother Winter in Wiesbaden und im Mai werde ich in Hamburg auf dem OMR-Festival ausgestellt. Das ist Europas größtes Festival für Online Marketing, Musik und Kunst. Da werde ich meine erste Skulptur präsentieren. Aus welchem Material sie ist, darf ich leider noch nicht verraten. Aber es wird auf jeden Fall abgefahren. Generell macht es mir Spaß, mich immer wieder neu zu erfinden. Im Frühling mache ich meine eigene Fabrik auf in der Nähe von Stuttgart. Das wird ein cooler Space, mein kleines eigenes Museum, das öffentlich zugänglich ist. Mir ist es wichtig, dass die Leute die Möglichkeit haben, die Kunst wirklich selber zu sehen, die Haptik zu erleben und sich nicht nur auf gedruckte Fotos oder Instagram zu verlassen.


Biographie

Auf Sand gebaut – bei Häusern keine gute Idee. In der Kunst eine echte Erfolgsstory. Zumindest für Tim Bengel, der mit einer medialen Reichweite von über 400 Millionen Menschen als einer der bekanntesten Künstler seiner Generation gilt.

1991 in Stuttgart geboren, studierte Tim Bengel Kunstgeschichte und Philosophie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Heute lebt und arbeitet er in Stuttgart und Berlin. „Die Intention hinter meinen Werken ist es, etwas Einzigartiges zu erschaffen“, sagt der Künstler. Mit seinem Drang, Innovation und Ästhetik zu vereinen, ist der 28-Jährige dabei, die Kunstwelt nachhaltig zu verändern. Mit seinen Werken aus weißem und schwarzem Sand und Blattgold gelang Tim Bengel der Durchbruch. 2019 sorgte seine spektakuläre Kunstinstallation